In Deutschland fehlen aktuellen Angaben zufolge mehrere
Hunderttausend Wohnungen. Dennoch werden vielerorts große Mehrfamilienhäuser
von den Eigentümern abgerissen. Das ist ein gravierender Widerspruch, für den
es allerdings zahlreiche Gründe gibt. Wir machen sie nachfolgend an einem
Beispiel deutlich.
Die sächsischen Metropolen Dresden und Leipzig ächzen unter Wohnraumknappheit.
Ohne die Unterstützung eines Maklers ist es dort kaum noch möglich,
Mietwohnungen zu vernünftigen Preisen zu finden. Doch ganz in der Nähe liegt
eine Stadt, die es sich auch im Jahr 2019 noch leisten kann, ganze Wohnblöcke
mit 48 Mietwohnungen abzureißen. Dabei handelt es sich durchweg um gut
geschnittene und in den 1990er Jahren komplett sanierte Zwei-Zimmer-Wohnungen
mit etwa 50 Quadratmetern. Der betroffene Block befindet sich in direkter
Nachbarschaft eines kleinen Einkaufszentrums. Das Stadtzentrum ist mit etwa 10
Gehminuten erreichbar und die nächste Bushaltestelle nicht einmal 50 Meter
entfernt. Bis zum Krankenhaus sind es Luftlinie etwa 300 Meter. Es sollte also
recht einfach sein, diese Wohnungen zu vermieten.
Weshalb werden die Wohnungen trotz Wohnungsnotstand abgerissen?
Der Block steht in einer Kleinstadt mit etwa 30.000 Einwohnern. Das klingt nach einem guten Wohnumfeld und das ist es auch. Allerdings zeigen sich auf dem lokalen Wohnungsmarkt die Folgen der „wirtschaftlichen Ausblutung“ und des in Deutschland herrschenden Ärztemangels. Inzwischen prüfen viele Haushalte vor dem Umzug in eine Mietwohnung an einem anderen Standort die Verfügbarkeit von Hausärzten und Fachärzten. Als Neuzugang in der Kleinstadt an der Elbe hat man kaum noch Chancen, einen neuen Hausarzt zu finden, weil sämtliche Praxen chronisch überlastet sind. Das hat bereits dafür gesorgt, dass in einer nahegelegenen Kommune mit etwa 6.600 Einwohnern 50 Quadratmeter große Eigentumswohnungen in einer vergleichbaren Lage teilweise für unter 10.000 Euro (pro Wohnung und nicht pro Quadratmeter) verkauft werden.
Warum kommt es noch trotz Wohnraummangel zum Abriss ganzer Blöcke?
Eine weitere Ursache für die lokalen Besonderheiten auf dem
Immobilienmarkt findet sich bei der geringen Zahl der verfügbaren
Arbeitsplätze. Es gibt gerade einmal eine Hand voll Unternehmen, die mehr als
500 Mitarbeiter beschäftigen. Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten sind
hier überhaupt nicht mehr ansässig, obwohl es noch vor der deutschen
Wiedervereinigung mehrere Unternehmen mit mehr als 10.000 Arbeitsplätzen gab.
Die Nähe zu Dresden und Leipzig könnte für Vorteile des lokalen
Immobilienmarkts sorgen, doch das tut sie trotz guter Anbindung per Straße und
Eisenbahn nicht. Dafür gibt es einen logischen Grund. Die Vorteile der
günstigen Preise für die Mietwohnungen im Plattenbau werden durch die Kosten
für die Bahnfahrten mehr als aufgefressen. Wer in Leipzig arbeiten möchte,
braucht bei der Anfahrt mit der Eisenbahn eine Monatskarte für zwei Tarifzonen.
Sie kostet mehrere Hundert Euro.
Die
Lage auf dem Immobilienmarkt lässt nur eine Schlussfolgerung zu
Wenn Deutschland den Wohnraummangel über das Ausweichen auf Immobilien in
Kleinstädten beheben möchte, muss die Nutzung des ÖPNV durch Berufspendler
dringend gefördert werden. Außerdem ist eine Verbesserung der Lage bei der
medizinischen Versorgung durch niedergelassene Hausärzte und Fachärzte eine
unabdingbare Voraussetzung. Nur so sind mehr Familien bereit, statt in den
Großstädten und den Vororten in nahegelegenen Kleinstädten zu wohnen und in der
Großstadt zu arbeiten. Zu den Voraussetzungen gehört aber auch, dass nicht noch
mehr Schulen in kleinen Kommunen geschlossen werden dürfen.